Es begab sich aber ...
Weihnachtsbrief von Landesbischof Ralf Meister

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging ...“
Das ist der Beginn einer der schönsten und zugleich ältesten Rettungsgeschichten. Vielleicht erinnern wir uns daran, als wir sie zum ersten Mal gehört haben, in einer Kinderübersetzung. Wir haben kaum etwas verstanden und wurden doch verzaubert. Oder als wir diese Worte selbst zum ersten Mal laut gelesen haben, am Weihnachtsbaum, für unsere Eltern und die Großeltern, die zu Gast waren. Ja, so ist diese Geschichte mit uns gewandert – durch all die Jahre und Jahrzehnte unseres Lebens. Dabei ist es keine Geschichte, die beginnt mit „Es war einmal ...“ und die endet mit den Worten: „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“ Dann wäre sie nicht mehr als eine Volks-Gute-Nacht-Geschichte geworden und vermutlich längst erledigt. Diese Erzählung beschreibt ein Wunder, dessen Wirkung bis heute nicht aufgebraucht ist. Die Worte, mit denen diese Rettungsgeschichte beginnt, zeigen, dass es etwas Außerordentliches zu beschreiben gilt.
„Es begab sich aber ...“. Es beginnt mit einem Widerspruch. Ein „Aber“, das nicht nur als Partikel dieser Geschichte einen besonderen Nachdruck geben soll, so wie: „Diese Geschichte ist aber wirklich eine gute und wichtige Geschichte.“ Ich stelle mir dieses Aber am Satzanfang vor: „Aber, es begab sich ...“ Das ist mehr. Das setzt die ganze folgende Geschichte von Anfang an in einen besonderen Rahmen. Alles, was jetzt kommt, steht für etwas vollständig Neues. Aber ...! Und dieses Aber setzt sich fort. Es prägt nicht nur den Anfang dieser Erzählung, sondern auch den ganzen Inhalt der Geschichte. Gott kommt in diese Welt, aber ganz anders als erwartet. Es war die erste Enttäuschung der Heiligen Nacht, dass nicht ein mächtiger König in die Welt kommt und sie regiert. Aber ein Gott, der treu an der Seite von uns verletzlichen Menschen liegt. Ein Gott, der weint und unsere Traurigkeit genauso trägt wie unser Glück. Der uns nicht verspricht, dass wir ewig leben, der nicht Gesundheit garantiert. Der nicht alle Wünsche erfüllt und alle Sehnsüchte befriedigt. Aber einer, der uns begleitet durch alle Tage des Lebens – alle gewesenen und alle kommenden. Der Optimismus des Glaubens ist „nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ (Václav Havel)
In dieser Nacht steht unsere Sehnsucht wieder unter dem großen „Aber“ Gottes: dass es anders weitergeht, dass Hoffnungen erfüllt werden, ja, und dass Gott uns nicht loslässt. So, wie er uns mit dieser Geschichte kein Jahr in unserem Leben losgelassen hat. In all den wunderbaren, schmerzhaften und auch großartigen Erinnerungen. Es begab sich aber ...
Gott behüte Sie!
Ihr
RALF MEISTER
Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers