Fragen wagen!
Glaubenssache

Schon die alten Griechen wussten um den Wert der Frage. Der Philosoph Sokrates wird gerne zitiert mit dem Ausspruch: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Und die von seinem Schüler Platon überlieferten Dialoge verdeutlichen, dass Einsicht durch das Fragen und nicht durch das Belehren des Gegenübers entsteht. Sokrates selbst soll diese Methode als „geistige Geburtshilfe“ bezeichnet haben.
Wer immer nur antwortet, anstatt zu fragen; wer immer nur spricht, anstatt auch mal zuzuhören, lernt nichts dazu. Er bleibt in sich, seinen eigenen Ansichten, aber damit auch in seinen Irrtürmern gefangen. Wer sich hingegen auf einen echten Dialog einlässt, wer aufrichtig fragt, ist sich seiner eigenen Fragwürdigkeit bewusst. Denn zur Würde des Menschen gehört es, Fragen stellen zu dürfen.
Nikodemus scheint ein Gefühl für diesen Zusammenhang zu haben. Er ist ein gelehrter Mann, eine Autorität in Glaubensfragen und Lebensdingen. Und vielleicht ahnt Nikodemus gerade deshalb, dass man sich die Antworten auf die wirklich großen Fragen nicht selber geben kann. Obwohl er selbst zu jenen gehört, denen üblicherweise Fragen gestellt werden, wendet er sich an Jesus mit der Frage, wie Gott in unserer Welt, für uns selbst und durch uns selbst, sichtbar und erfahrbar wird (Johannes-Evangelium, Kapitel 3, Verse 1 bis 21). Und schon zu Beginn eines langen Dialogs aus Fragen, Antworten und Gegenfragen sagt Jesus zu ihm: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Das fordert vor allem weitere Fragen heraus. Aber darin liegt möglicherweise schon etwas von der Antwort auf die Frage verborgen, wie das Reich Gottes in unserer Welt sichtbar und erfahrbar wird. Jesus leistet gewissermaßen „geistige Geburtshilfe“, indem er Nikodemus ermuntert, Fragen zu stellen.
Das sollte auch uns ermuntern, uns unserer Fragwürdigkeit bewusst zu werden und immer wieder das Fragen zu wagen. Denn durch echte Dialoge und aufrichtige Fragen kommen nicht nur Mensch und Mensch, sondern auch Gott und Welt einander näher.
Steffen Lahmann
Pastor der St.-Petri-Kirchengemeinde Hänigsen-Obershagen
„Glaubenssache - Beiträge und Texte aus Kirche und Religion“
Die Kolumne erscheint jeweils sonnabends im Marktspiegel für Burgdorf und Uetze, sowie im Marktspiegel für Lehrte und Sehnde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchen schreiben Beiträge aus ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen und Arbeitsfeldern, von ihren Erfahrungen und zu dem, was sie gerade beschäftigt.