Was tun mit dem Bösen
Glaubenssache von Superintendentin Sabine Preuschoff

Seit der Entbindung hat Marie Angst um ihre Tochter Sara. Nachdem die dreijährige Sara sich im Spiel draußen verirrt hatte, meldet Marie sie für eine Testversion von „Arkangel“ an, einem über ein Implantat installierten Kinderüberwachungssystem. Marie kann mit einem Tablet jederzeit den Standort von Sara überwachen und quasi mit deren Augen sehen, was sie sieht. Ein von der Mutter eingeschalteter Filter kann Reize zensieren, wenn sie Sara Stress verursachen – die Tochter sieht den Stressauslöser dann nur noch verpixelt. – Handlung von „Arkangel“, einer Folge einer dystopischen Serie.
Technisch wäre das sicherlich bald machbar. Die Frage ist: Was ist erlaubt, um Leben zu schützen? Wann wandelt sich der elterliche Wunsch, das Kind vor allem Bösen zu bewahren, der Wunsch nach einem Schutzengel, hin zur Ausübung von Macht und Gewalt über das Kind?
„Helikopter-Eltern“ – ein Begriff dieser Zeit. In meiner Kindheit gab es die schlichte Verabredung: Wenn die Glocken läuten, seid ihr zu Hause. Und dann waren wir frei, die Welt und das Leben zu entdecken. Gefahrvolle Erfahrungen inklusive. Aber es waren Erfahrungen, die uns halfen zu reifen. Lebenserfahrung.
Sara im Film entwickelt sich in der Folge autistisch – sie versteht weder negative Mimik und Gesten noch Gewalt, weil sie diese stets gefiltert und verpixelt wahrnimmt. Ein Psychologe empfiehlt, Arkangel zu entsorgen. Marie deaktiviert den Filter, lagert das Tablet auf dem Dachboden.
Sara, zunächst völlig verunsichert, entwickelt sich bald zur normalen Teenagerin. Als Marie erfährt, dass Sara sich heimlich mit einem Jungen trifft, reaktiviert sie aus Sorge das Tablet und spioniert der Tochter bis ins Intimste nach. Sie überwacht sie wieder und handelt allein nach dem, was sie sieht. Statt mit Sara zu sprechen, nimmt sie das Leben der Tochter in die Hand – und zerstört damit die zarte erste Liebe von Sara und letztlich auch die Mutter-Tochter-Beziehung.
Es ist ein verständlicher Wunsch von Eltern, ihr Kind möge vor allem Bösen bewahrt werden. Manche kontrollieren ihre Kinder in der Hoffnung, damit möglichst alle Gefahren fernhalten zu können. Vertrauen bleibt dabei manchmal auf der Strecke.
Vor allem Bösen bewahren – das geht nicht. Weil das Böse zum Leben dazu gehört. Weil wir deshalb lernen müssen, es wahrzunehmen, darüber zu sprechen. Es zu deuten. Nur dann können wir mit dem Bösen auch umgehen und Widerstandskraft dagegen entwickeln.
Tauffamilien, die sich die Taufe für ihr Kind als Schutz vor allem Bösen wünschen, sage ich: „Gott wird euer Kind nicht vor allem bewahren. Aber was auch immer passiert – Gott ist bei eurem Kind. Vertraut darauf!“
Sabine Preuschoff
Superintendentin des Ev.-luth. Kirchenkreises Burgdorf
„Glaubenssache - Beiträge und Texte aus Kirche und Religion“ erscheint als Kolumne jeweils sonnabends im Marktspiegel für Burgdorf und Uetze, sowie im Marktspiegel für Lehrte und Sehnde. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Kirchen schreiben Beiträge aus ihren Kirchengemeinden, Einrichtungen und Arbeitsfeldern, von ihren Erfahrungen und zu dem, was sie gerade beschäftigt.